Eine im Jugendstil gehaltene Lithographie mit Motiven vom Dortmund-Ems-Kanal ziert diese seltene Postkarte. Eingerahmt von einer Kartusche aus Blätterornamentik zeigt sie den Dortmunder Stadthafen mit dem heute unter Denkmalschutz stehenden markanten Hafenamt, die über den Kanal führende Hafenbrücke sowie einen heranfahrenden Schleppdampfer. Ein Ausflugsdampfer mit am Heck wehender schwarz-weiß-roter Flagge des Kaiserreiches und weiblichen Passagieren in sommerlicher Sonntagskleidung scheint gerade vom Ufer abzulegen. In Wirklichkeit befanden sich dort die Helligen einer zum Montankonzern „Union“ gehörenden Werft. Rechts sehen wir ein Pferdefuhrwerk (zu damaliger Zeit noch das vorherrschende Transportmittel für Güter aller Art), links ein angedeutetes Landschaftsbild des Emstals mit einer Frau in regionstypischer Trachtenkleidung (langer Rock, Schultertuch, Haube, Holzschuhe), die sich ausgerechnet an eine Kanone angelehnt hat. Dies dürfte auf den 1877 von der Firma Krupp/Essen in Meppen errichteten Schießplatz zur Erprobung von Heeres- und Marinekanonen hinweisen, der in unmittelbarer Nähe des Dortmund-Ems-Kanals lag. Zum Schutz des Kanals wurde seinerzeit sogar ein Erdwall aufgeschüttet. Die Karte ist ungelaufen, datiert aber wegen der Zweiteilung der Vorderseite auf die Zeit nach 1905.
Die Postkarte selbst wurde freilich von einer in Berlin betriebenen Gaststätte namens „Zum Dortmunder“ vertrieben. Es handelte sich dabei um ein Lokal der 1873 gegründeten Dortmunder Union Brauerei, das von Fritz Brinkhoff, dem ersten Braumeister und technischem Direktor der Brauerei, persönlich Ende des 19. Jahrhunderts ausgesucht und für 300.000 Mark von der Wiener Brauerei „Dreher“ erworben worden war und später mit „gutem Gewinn“ weiterverkauft worden sein soll. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die „Dreher’schen Brauhäuser“ das größte Brauereiunternehmen der Welt mit vier Produktionsstätten in Schwechat bei Wien, Triest, Michellob in Böhmen und Budapest. Anton Dreher gelang 1841 der Durchbruch, als er erkannte, dass für untergäriges Bier Kühlung entscheidend war. Er legte riesige Keller an und lagerte Eis ein: Das „Schwechater Lager(bier)“ machte die Brauerei weltberühmt.
So eröffnete das Lokal zunächst als „Dreher’sches Bierhaus“ und atmete den Geist österreichisch-preußischer Verbundenheit - etwa durch Figuren der Austria und der Borussia auf Majolikafliesen oder in riesigen Wandgemälden mit Allegorien, Wappen und Emblemen, die Ansichten von Wien und die vier Braustätten des Unternehmens zeigten. „Der freundliche Eindruck des Inneren mit seinem prächtigen, in den Deckencassetten durch Bronzerosetten gehobenen Holzwerk, mit dem reichen vergoldeten Gitterwerk der seitlichen Eingangsthür wird wirksam belebt durch Malereien von Max Koch“ heißt es in einem vom Berliner Architektenverein im Jahr 1896 veröffentlichten Nachschlagewerk.
Die gediegene Lokalität befand sich in dem vom Heinrich Kayser und Carl Friedrich Ernst von Groszheim konzipierten und von Juli 1886 bis Januar 1887 in Rekordzeit erbauten Haus Leipziger Straße 109, welche seinerzeit als die prachtvollste Straße Berlins galt und sich als bedeutendste Einkaufs- und Geschäftsstraße der Metropole etabliert hatte. Aufgewendet wurden stattliche 1,5 Millionen Mark - die Berliner Börsenzeitung staunte, „welche Summen aufgewendet werden, um dem Kneipbedürfniß der Großstädter entgegenzukommen.“ Und weiter: „Auf die Anlage der Heizung, Ventilation, Abwässerung, auf die zeitgemäße Einrichtung des Küchencomplexes, sowie der Vorrathsräume für Bier, Fleisch etc., auf die Ausbildung der Verkehrsmittel wurde die möglichste Sorgfalt verwandt, da die Architekten beabsichtigten, ein in jeder Beziehung den Ansprüchen des modernen Großstadtpublicums genügendes Werk zu schaffen.“
Nach Erwerb durch die Dortmunder Union führte Theodor Kochintke in der Zeit von 1899 bis 1917 das Geschäft zunächst als „Restaurant Dortmunder Union-Brauerei“, später als Gastwirtschaft „Zum Dortmunder“ weiter. Offenkundig hatte er den Betrieb zunächst gepachtet und dann schließlich als Eigentümer übernommen. Das Ehepaar Kochintke besaß zudem das Gebäude Potsdamer Straße 145, wo im Jahr 1909 ein „Kinematographentheater“ eröffnet wurde. Die Verbundenheit mit der westfälischen Montanmetropole Dortmund führte auch zur Umgestaltung der Inneneinrichtung. So war das Phantasiebild „Kanal-Hafen zu Dortmund“ auf der Ansichtskarte als Original im Restaurant selbst zu bewundern. Als großformatige Malerei auf einer in hellem Putz belassenen Wand zierte es den hinteren Teil des Lokals rechts neben dem Tresen und unterhalb eines farbigen Oberlichtes.
In der Leipziger Straße 125, also in unmittelbarer Nähe zum Restaurant, befand sich auch das preußische Ministerium der Öffentlichen Arbeiten, das für den Bau der künstlichen Wasserstraßen verantwortlich war. Kochintke übernahm die Gaststätte just im Jahr der Eröffnung des Dortmund-Ems-Kanals (1899) durch Kaiser Wilhelm II. - zu dieser Zeit produzierte die Dortmunder Union Brauerei bereits jährlich rund 200.000 Liter ihres berühmten Exportbieres - wie das Bier aus Wien ebenfalls ein untergäriges. In Dortmund nutzte man zu dieser Zeit bereits drei der von Carl von Linde erfundenen Kühlmaschinen und konnte dank der neuen Kühlung nun ganzjährig untergäriges Bier brauen. Das „Dortmunder Helle“ wurde ein Verkaufsschlager. Ein Teil der Braugerste wurde in dieser Zeit über den Kanal und den Dortmunder Hafen importiert.